V I L M







































































































































































































































































































Machthaber kommunistischer Staaten scheinen eine Vorliebe für schöne einsame Inseln als Refugium zu haben.
So findet Tito sein Paradies auf Brioni
und DDR-Funktionäre das ihre im Greifswalder Bodden.



Vilm (gesprochen "Film"), 94 ha groß, ist ein Naturparadies, ein Kleinod der Ostseeküste.
Südöstlich von Putbus-Lauterbach im Rügischen Bodden gelegen, gliedert sich die Insel in 3 Teile. Nördlich der große Vilm, anschließend langgestreckt der mittlere und südlich der kleine Vilm.

Vilm ist 2,5 km lang und erhebt sich bis zu 37,7 m über dem Meeresspiegel.

Im Winter nach der 'Wende' friert die Ostsee zu, es gibt eine Massenwanderung der Rüganer übers Eis zur Insel.
Jeder will das Allerheiligste und die darin vermuteten Schätze mit eigenen Augen sehen, einmal auf dem Strand stehen, wo Erich, der insgesamt nur fünf Tage auf Vilm weilt, seinen Bauch in die Sonne streckte.


Schilder sind aufgestellt des Inhalts:
Werte Besucher, wenn Sie schon hier sind, verlassen Sie nicht die Wege
.
Für die ehemaligen Untertanen ist es aufregend, an diesen Ort zu gelangen, einer Insel mit 'Zauberberg'-Atmosphäre.
Die Gewässer drum herum haben sogar Froschmänner bewacht und nicht selten diese Szenen sich abgespielt:

Hafen


Schwarze, abgedunkelte Limousinen fahren mit hoher Geschwindigkeit in den (dann für Einwohner gesperrten) Lauterbacher Hafen ein und setzen sofort mit dem bereitliegenden Schiff zum Vilm über, die lichtscheuen Herren sind Mitglieder des DDR-Ministerrats, die zur Pivatinsel Honecker und Co. - als Naturschutzgebiet getarnt - eilen.

Keiner darf dem Eiland zu nahe kommen, selbst putbuser Offizielle, denen die Insel eigentlich untersteht, dürfen sie nicht betreten. Nur einem Verwalter und Servicepersonal ist der Zugang gestattet.
Dass diese Totalabschottung für Phantasieanregung sorgt, ist nicht verwunderlich.
Seit 1959 ist der Vilm für Besucherverkehr gesperrt. Offiziell 'Gästehaus des Ministerrates der DDR'.


Die SED-Führung baut entgegen jedem Naturschutzgedanken eine Ferienanlage aus 2 größeren und einem guten Dutzend kleineren Gebäuden in privilegierter Lage und luxuriöser Ausstattung. Hier erholen sich die Führer des Arbeiter- und Bauernstaates.


Es entsteht ein Rohrdachdörfchen als ministerliches Feriendomizil. Weithin sichtbar überragt ein Antennenmast die Insel, für all die schönen, scharfen Westprogramme. Sumpfige Niederungen erhalten Entwässerungsgräben, damit keine Stechfliegen herauskriechen und die Herrschaften pieken. (Zivildienstleistende schaufeln sie nach der Wende wieder zu)
Der kleine Sandstrand mit Strandtoilette und Strandtelefon wird täglich geharkt.

Wachhütte

Das, was man 'unaufdringlich den Naturgegebenheiten angepasste Ruhehütten' nennt, sind Unterstände für Stasiwachen, die Tag und Nacht an den Ufern nach Eindringlingen Ausschau halten.
Im Herbst 1989 protestiert die Gemeinde Putbus gegen ihre Aussperrung und fordert in einem offenen Brief vom Genossen Modrow die Öffnung der Insel und die Schaffung gleicher Fernsehempfangsbedingungen für die Stadt Putbus wie auf dem Vilm.

Geschichte
Die von Gletschern vor 12.000 Jahren hinterlassenen Moränen formen sich vor 6.000 Jahren zu einer Insel, deren natürliche Gestalt sich bis heute fortwährend verändert.
Die Geschichte zeugt von früher Besiedelung in der Steinzeit, von Vilm als heiligem Ort der Slawen, als christlichem Wallfahrtsort und Einsiedelei im Mittelalter, als fürstlichem Sommersitz zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als bedeutendem Treffpunkt von Landschaftsmalern und bis 1990 als Regierungsgästeheim der DDR.
1249 Besitz des Hauses zu Putbus
1336 3 Einsiedler leben in Gehöft, eine Kapelle
1494 Altarweihe der erneuerten Kapelle
1527 letzter großer Holzeinschlag
1886 Errichtung eines Logierhauses
1936 Naturschutzgebiet
1959 Sperrung, Errichtung Staatsfuntkionärs-Siedlung
1990 Internationale Naturschutzakademie
Böse Zungen behaupten, einige der früheren Regierungsangestellten seien von Schutz- zu Naturschutzexperten mutiert.

Natur
Sie ist durch einzigartigen Reichtum gekennzeichnet, sie kann sich wie an wenigen Orten Deutschlands in so absoluter Unberührtheit entwickeln.
Nahezu alle Küstenformen der Ostsee kommen vor, wie bei einem Modell, an dem der Schöpfer alle denkbaren Möglichkeiten en miniature ausprobiert hat, sind hier auf engstem Raum die verschiedensten Naturausprägungen auf das Harmonischste vereint.






Es ist unmöglich, die urwüchsige Umgebung auch nur annähernd zu beschreiben.
Uralte Eichen und stattliche Buchen gehören zu den eindrucksvollsten Waldbildern.
Das Material, das das Meer an den Kliffen abnagt, wird am Großen und Kleinen Haken angelandet und lässt diese ständig wachsen.
Bis 1890 steht auf dem Vilm eine Eiche, in deren Hohlraum 16 Personen Platz finden.

Zaghaft nur und fast unbemerkt versucht der neue Tag den Dunst über der nahen Insel Rügen zu durchdringen, und langsam beginnt das Licht des noch jungen Frühlingstages auf die alten ehrwürdigen Eichen zu fallen, die einst die Romantiker schauten und malten, hier auf dem kleinen einsamen Eiland


Die ersten Sonnenstrahlen vertreiben die Tautropfen auf den Tausenden von Buschwindröschen, um den alten Wald schließlich mit einem jungen leuchtend weißen Teppich aus Blüten zu überziehen. In diesen hellen und fröhlichen Klang der Sinne stimmen hunderte jubilierender Vögel ein - ein Augenblick, der lange noch ein Trost, eine innere Ruhe und Freude sein wird - lange noch, wenn ich schon längst wieder drüben auf dem Festland sein werde...



Der Vilm, eine kleine Insel im Schatten ihrer großen Schwester Rügen, ist schon immer ein besonderer Ort, ob zu Zeiten der slawischen Rügenfürsten, als Lebensort für mittelalterliche Mönche, als Kindheitsort des Wilhelm Malte Fürsten zu Putbus, ob als angebliches "Naturschutzgebiet" oder Gästeheim für Staatsfunktionäre der DDR...



Die Unzugänglichkeit des Ortes über Jahrhunderte hinweg hat uns eine einzigartige und ursprüngliche Natur hinterlassen. Der Reiz der Landschaft zieht nicht zuletzt viele Maler in ihren Bann...



Name
Vilm leitet sich entweder vom slawischen Wort ilium (Ulme) ab oder von vilime, was soviel bedeutet wie Holm mit altem Holzbestande. Letztere Erklärung erscheint angesichts der sagenhaft alten Bäume einleuchtender.

Kunst und Tourismus
Ende des letzten Jahrhunderts, als Künstler die Ostseeküste für sich entdecken, kommen die ersten Landschaftsmaler auf das paradiesische Eiland, sind angesichts seiner phantastisch wilden und unberührten Natur völlig hingerissen. Ihre inspirative Kraft zeigt sich in der Malerei:
Im Verlauf der vergangenen 200 Jahre suchen Vilm über 350 Maler nahezu aller Strömungen deutscher Landschaftsmalerei seit Caspar David Friedrich auf.


Caspar David Friedrich, Landschaft mit Regenbogen um, 1810




Nach einem Besuch auf der Insel Vilm schwärmt der Dresdner Arzt und Maler Carl Gustav Carus (1789-1869) von diesem "kleinen Eilande". Ungestört und ehrwürdig seien hier Eichen und Buchen zu ungewöhnlichem Umfange aufgewachsen.


Carl Gustav Carus, Alte Eiche auf dem Vilm, 1820






Carl Gustav Carus, Eichen am Meer



Mit großer Wahrscheinlichkeit ist auch sein Ölgemälde "Erinnerung an eine bewaldete Ostseeinsel" von seinem Aufenthalt auf der Insel Vilm angeregt. Dagegen trägt ein Aquarell von Friedrich Preller dem Älteren (1804-1878) aus der Zeit um 1840 eindeutig den Titel "Insel Vilm". Diese Insel beeinflusst auch keinen geringeren als den berühmten Caspar David Friedrich (1774-1840) in seiner Kunst. Bereits der Blick von Rügen zur Insel Vilm inspiriert ihn. So entsteht um 1801 eine Bleistiftzeichnung mit diesem Motiv und um 1809 seine Sepiazeichnung "Blick zur Insel Vilm". Besonders faszinierend ist das Ölgemälde "Landschaft mit Regenbogen", das nach den genannten Arbeiten im Jahr 1810 entsteht.


Friedrich Preller d.J.: Ostseeküste auf der Insel Vilm, 1888



Noch heute kann man bei einem Rundgang auf der Insel diesen herrlichen Baumbestand bewundern, da er rechtzeitig unter Schutz gestellt wurde.
Damit beginnt auch für den Vilm die Ära des Fremdenverkehrs.
1886 errichtet man ein Logierhaus. Schnell zeigt sich aber, dass die einzigartige Flora und Fauna solch eine Nutzung nicht unbeschadet verkraftet. Auf Betreiben von Greifswalder Professoren wird der Vilm schließlich 1936 unter Naturschutz gestellt. Nach dem 2. Weltkrieg nimmt die Gemeinde Putbus das Tourismusgeschäft wieder auf, richtet eine Gaststätte und Fährverbindung ein.
1945 im Zuge der Bodenreform in Volkseigentum überführt, lockt Anfang der fünfziger Jahre eine Segelschule Besucher auf die Insel.
Im Sommer 1959, nach einem Besuch Otto Grotewohls, wird Putbus die Zuständigkeit für die Insel entzogen und zum angeblichen Schutz der Vogelwelt nur noch einer begrenzten Zahl von Erholungssuchenden der Zutritt erlaubt.
Die schützenswerten Vögel und die begrenzte Zahl ist in Personalunion der Ministerrat der DDR.

Heute
Hammer und Zirkel weichen dem Bundesadler, die Überfahrt ist eine der letzten Zeitreisen in die vergangene DDR. In der Villa der Honeckers, im Wohnzimmer der Genossen Erich und Margot hat sich nichts geändert, nur die Bewohner mit ihrem reichlichen Hang zu waidmännischem Kitsch sind vertrieben.
Exemplarisch für das früher lückenlos zensierte DDR-Fernsehen ist ein Bericht über die Insel. Die Aktuelle Kamera hat sich innerhalb weniger Wochen vom Hofberichterstatter zu brisanter Nachrichtensendung (Einschaltquote gut 40 %) gemausert. Das neue Jugendmagazin ELF99 stösst nun auf brennendes Zuschauerinteresse und bricht mit überkommenen Tabus. ELF99-Reporter 'ermitteln', was sich hinter bisher streng abgeschirmten Orten verbarg - eben der Urlaubsinsel Vilm in der Ostsee (bis zur 'Waldsiedlung' der SED-Prominenz in Wandlitz).
Auf dem großen Vilm werden für vorangemeldete Besucher geführte Wanderungen angeboten.

Und für noch etwas steht der Name Vilm, nämlich

Schiffe

Der Tank-Logger der DDR-Volks-Marine
ist auf Namen 'VILM' getauft, heute 'Roald Amundsen' aus Eckernförde. Ursprünglich Fischlogger von 1952, der bereits während der Bauphase von der NVA als Tanklogger ausgebaut und und als 'VILM' viele Jahre zur Versorgung von Marineeinheiten dient.
1991 bis 1993 in Wolgast als ABM-Projekt in eine schmucke Brigg umgebaut, Eigner der Verein "Leben Lernen auf Segelschiffen e.V."




2004 wird Wolfgang Lenz,
ein Bootsbauer aus Lauterbach in Polen ermordet. Er ist Chef des Unternehmens, das die Motorsegler "Vilm" seit 1967 in Lauterbach baut. Die kleine Werft am Greifswalder Bodden hat unter Kennern Weltruhm.
Wir bauen nicht nur Schiffe. Auch Möbel. Nicht eine Ecke oder Kante. Sie haben zwar ihren Preis, eben Unikate aus Mahagoni
Diese spürbar vollendete Schönheit der Produkte ist geschätzt.
1948 kümmern sich acht Bootsbauer in Lauterbach um anderes, Profanes: Sie reparieren zerschossene Rettungsboote.
1952 wechseln sie zu sportlicheren Aufgaben: Die ersten Piraten und Jollenkreuzer entstehen. Angespornt vom Erfolg baut die Werft dann 1965 den ersten VILM-Motorsegler, er feiert 1967 in London als Devisenbringer für die DDR Premiere im Westen.

Heute baut die Bootsbau Rügen GmbH die Typen 101 und 116. Die erste "Vilm" sticht noch immer von ihrem belgischen Heimathafen aus in See.
Und:
Jedes Jahr, wenn Klaus Störtebeker den Kampf gegen das Böse aufnimmt und für mehr Gerechtigkeit auf Nord- und Ostsee kämpft, tun er und seine Gefährten das auf historisch nachgebauten Koggen der Lauterbacher Bootswerft.
Segeln, die teuerste Art, langsam und unbequem zu reisen? Wir arbeiten gegen dieses Image an, lacht Matthias Lenz, jetztiger Werft-Boss. Wer sich an Bord einer Vilm einmal wohl gefühlt hat, weiß den Erfolg zu schätzen. Die Kunden sind erfahrene Segler, Leute mit Praxis, die wissen, was sie brauchen. Jedes Boot wird mit dem späteren Nutzer geplant.
2002 wählt das Magazin "Cruising World" die Vilm 116 zum "Boat of the Year".

Und jedes Jahr treffen sich rund 30 Segler mit ihren 21 Schiffen in Lauterbach zur Regatta rund Vilm.




Zeitzeuge

In jedem Sommer meiner Kindheit gab es an zwei Tagen in Greifswald mehr Polizisten und sonstige Bewaffnete als gewöhnlich. Dann wurden alle Mülltonnen, die sonst zur Unterstützung des volkseigenen Abfuhrprozesses an den Straßenrändern abgestellt waren, weggeräumt und auch sonst herrschte etwas mehr kommunale Ordnung. Den Eingeborenen war klar: ERICH fährt zum Vilm! Auf jeder Nebenstraße der Via Erich (Ostberlin - Lauterbach/Rügen) wurde der Verkehr für lange gestoppt und selbst die Straßenauffahrten der Felder waren mit je zwei Uniformierten besetzt. Da das die Volkspolizei allein nicht bewältigen konnte, halfen Freiwillige Feuerwehr, Kampfgruppe usw. usw. So wurde sichergestellt, dass der Genosse Honecker vom ihn liebenden Volk nicht belästigt wurde. Dann noch eine kleine Fahrt mit der Barkasse - und schwups war Erich in Sicherheit.
Meinem Ur-Urgroßvater widerfuhr es ärger. Als Besitzer eines Lauterbacher Kaufmannsladens mit Telefon sollte er in einem Winter des jungen 20. Jahrhunderts eine Nachricht zur fernmeldetechnisch unversorgten Insel Vilm bringen. Er fuhr mit seinem Piekschlitten für immer in ein Eisloch. Damals war die Insel noch von Bauern bewirtschaftet worden und diente der Versorgung der Rügen-Urlauber.
1990 war ich dann mit einer Gruppe Biologen der Greifswalder Uni auf der Insel und erfreute mich an den Erfolgen der Umschüler - das war ein Spaß! Wenn es um Erich selbst ging, wurden die immer ganz feierlich. Zum Schluß gab es in Erichs Kantine Kaffee und Torte. Ein Stück Elitetorte.

















Honecker auf Vilm




© Christian Wirth 2015