Wer die beliebte Ferieninsel Rab östlich passiert, segelt auf der gegenüberliegenden Seite
an zwei Hölleninseln entlang:
Der "Nackten Insel" (kroat. Goli otok) und an der St. Georgs-Insel (kroat. Sv. Grgur): Angst
einflößende verfallende Gebäude, eine Kneipe mit Terrasse, ein Liliputzug voller Touris ...
Dass auf der Insel Titos Schergen 1948 bis 1988 einen grausamen Frauenknast unterhielten, wo sie
die Insassinnen folterten und ihrer Menschenschenwürde vollkommen beraubten, darüber
schweigt der kroatische Wiki-Eintrag zu Sv. Grgur - entlarvend.
"Titos Hawaii", "Titos KZ" oder "Titos Alcatraz" sind Synonyme für die Inseln, auf denen Tito foltern
ließ.
Vladimir Bobinac
Vladimir erzählt:
Vor 60 Jahren hat er die Steine auf dieser Insel mit blutenden Händen von einer Stelle zur anderen
getragen, und wieder zurück, wieder hin, und wieder zurück. Ohne Sinn und ohne Zweck,
nur mit ein paar Löffeln Maisbrei im Magen. 46 Kilogramm wog er damals, 1,70 m groß. Zu trinken
gab es zwei Deziliter Wasser am Tag.
Alle wissen, dass dort, auf jener kahlen Insel Menschen grausamst gefoltert wurden - aber niemand
will darüber streiten, wer verantwortlich war. Auch er will das nicht. Und doch steckte er in den letzten
zwanzig Jahren seine ganze Kraft darein, das Terrorsystem Goli otok ins öffentliche Gedächtnis zu
holen, und das gelang ihm auch - zumindest bei den Schulklassen und Touristengruppen,
die seine Geschichte hören wollten.
2 Mal täglich kann ein Bootsausflug gebucht werden
- zwei Stunden für 13 €. Von der Boots-Anlegestelle aus führt ein asphaltierter Güterweg
den steilen Hügel hinauf. Gefangene haben die Straße in Schichtarbeit gebaut, bei eisigem Wind
im Winter, bei Wüstenhitze im Sommer. Wer schlapp machte, wurde „diszipliniert".
Links und rechts der Straße Häuser ohne Fenster, mit herabbrechenden Dachrinnen, und wilden
Schafen, die in den Baracken Schatten suchen. Sie sind die einzigen Bewohner der Insel.
Kein Wunder: Außer den robusten Tieren, die laut einer Mär Salzwasser trinken, überlebt hier nichts.
Tito wusste, warum er genau hier sein Lager errichten lässt, um Regimegegnern oder jene,
die er dafür gehalten hielt, „zu erziehen": Unbewohnt, dennoch gut erreichbar, nicht weit vom Festland,
aber derart hügelig, dass alle - mitsamt den Folterungen, die dort stattfanden - kaum einzusehen
waren.
Zwangsarbeit, grausamste Gewalt bis hin zu Erschießungen können in sicherer Abgeschiedenheit
geschehen - 40 Jahre lang.
Nichts zeugt von den Gefolterten: Jegliche Beweise vernichtet die Geheimpolizei 1988 bei Schließung
des Lagers. 4.000 Tote? Niemand weiß es wirklich.
Historiker sprechen von über 30.000 Gefangenen, wobei die Hälfte von ihnen bereits in den ersten
fünf Jahren durchs Lager gegangen sei. Auch die Zahl der an den Folgen Gestorbenen ist unbekannt.
Als Vladimir 1951 auf der Insel ankommt, ist er 29. Empfangen werden er und die anderen
400 Neuankömmlinge vom berüchtigten kroz stroj: Links und rechts der Anlegestelle stehen einen
Kilometer lang dicht aneinander gereiht die Häftlinge Spalier. Sie haben Befehl, auf die Neuen,
die man durch diesen Korridor treibt, mit Knüppeln einzuschlagen, und dabei „Banditen, Banditen!"
zu brüllen. Keiner übersteht die Tortur ohne Verletzungen, Vladimir trägt einen Leistenbruch davon.
Teil des Schiffs, mit dem Vladimir, eingzwängt mit 400 anderen, auf die Insel kam
Bobinac haben sie zu 24 Monaten „Sozialdienst" verurteilt, da ihn ein Freund aus der Kindheit als
"verdächtig" denunziert hat. Und verdächtig sind 1948, als Stalin mit Tito bricht, so ziemlich alle,
die im Regime engagiert waren.
„Vorher waren die Kommunisten in Stalin verliebt gewesen.
Es hat geheißen: Die Russen springen drei Meter hoch, russische Wassermelonen sind
drei Meter dick, alles aus Russland ist gigantisch - und dann war von einem Tag auf den anderen
Russland plötzlich böse."
Bobinac ist damals im Vorstand der Hochschülerschaft. „Alle haben getuschelt:
Der da ist gegen die Russen, der dort ist für die Russen." Alle stehen unter Generalverdacht.
Dass Bobinac sich weigert, einen als Stalinisten geltenden Kollegen auszuschließen,
wird ihm zum Verhängnis. Titos Paranoia, jemand könnte Stalin treuer sein als ihm,
kostet vielen Menschen jahrelang Freiheit und Menschenwürde, und manchen das Leben.
Unter den Gefangenen herrscht strenge Hierarchie: Alle Neuen, die „Banditen",
bekommen am wenigsten Schlaf, Essen und Wasser, müssen die härtesten
Arbeiten verrichten, werden am schlimmsten gefoltert. Erst, wenn sie beginnen, sich „reumütig"
zu zeigen, indem sie etwa Familienangehörige denunzieren, dürfen sie aufsteigen.
Die nächsthöhere Stufe sind die „revidirci", die zwar weniger hart gefoltert werden,
dafür aber ständig für den Erhalt ihres Status kämpfen müssen - wieder zum Banditen zu werden,
ging schneller als man dachte. Auf der höchsten Stufe stehen die „Aktivisten". „Das waren die,
die am besten zuschlagen konnten."
Titos Kommandanten auf Goli otok müssen sich die Hände nicht schmutzig machen:
Folter, Verhöre, Überwachung der Zwangsarbeit - der Großteil wird den Gefangenen selbst
aufgeladen: zynisch „Selbstverwaltung" genannt. Wer die anderen Lager-Insassen besonders
effizient peinigt, wird selbst verschont. Orden und Dienstgrade kassieren jene, die sich derweil
im Goli'schen Kino amüsieren - erbaut von den Gefolterten, mit dem Ziel, den auf der Insel
stationierten Geheimpolizisten den Alltag zu versüßen. In 40 Jahren gibt es keinen
Aufstand der Gefangenen. Von der Insel zu fliehen, ist unmöglich: Niemand hat die Kraft,
kilometerweit zu schwimmen, für zivilen Bootsverkehr ist das Meer rund um die Insel gesperrt.
1988, bei der Schließung von Goli otok, vernichten die Täter alle Geheimdokumente, machen
die Erstellung einer Lagergeschichte unmöglich. Goran Jurišic, Zagreber Historiker:
Die politische Aufarbeitung sei ohnehin nicht gewünscht: „In Kroatien herrscht totales Schweigen
über Goli otok." Regierung und Justiz seien noch zu stark von ehemaligen KP-Funktionären
dominiert, diese hätten starkes Interesse daran, Gras über die Geschichte wachsen zu lassen.
Zeitzeugen-Berichte wie jene Vladimir Bobinacs förderten heikles Material zutage, „aber die
Staatsanwälte rühren das nicht an". Von den Tausenden Häftlingen habe sich immerhin ein Dutzend
zu einer Strafanzeige gegen Ex-Kommandanten vorgewagt - „aber sie landeten alle in
der Schublade", kritisiert Jurišic.
Auch andere Länder interessierten sich wenig für Goli otok. "Obwohl alle westlichen Regierungen
sehr genau wussten, dass Goli otok existierte, brachte es niemand zur Sprache - auch nicht
gegenüber Tito", sagt die Belgrader Journalistin Tamara Nikcevic.
Warum? Spekulaltive Antworten:
Während die Westmächte in Tito einen willkommenen Widersacher Stalins sahen, vermied
Stalin selbst jeden Fingerzeig auf Goli otok, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die "eigenen"
Gulags zu lenken.
Vladimir Bobinac: "Als ich auf Goli otok kam, wusste meine Mutter lange nicht, wohin ich
verschwunden war". Die ganze Wahrheit sollte sie auch nie erfahren: Über das, was ihm dort
angetan wurde, spricht er erstmals 1990. Ein Schweigegelöbnis war der Preis für das Exit-Ticket
aus dem Lager.
Sollen die Täter zur Rechenschaft gezogen werden?
„Auf keinen Fall! auf gar keinen Fall. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Auch ich bin im Spalier
gestanden, auch ich habe geprügelt und "Banditen, Banditen" gebrüllt: Wir waren alle Täter."
Mehr als 55.000 KPJ-Mitglieder schließt Tito aus der Partei aus, viele werden von der jugoslawischen
Geheimpolizei UDB (ab 1966 SDB) und dem Militärgeheimdienst KOS verhaftet. Zwischen 11.000
und 18.000 von ihnen werden auf Goli otok (Männerlager) und der Nachbarinsel Sveti Grgur
(Frauenlager - hierüber gibt es überhaupt keine Quellen) inhaftiert. Daneben auch einige überlebende
Ustascha-Faschisten, ab etwa 1955 hält Jugoslawien auch andere angebliche Staatsfeinde
gefangen: Sozialdemokraten, Bürgerliche, Monarchisten und westlich Orientierte, vielfach
unter Folter zu falschen Selbstbeschuldigungen gezwungen und zur Haft auf der
lebensfeindlichen Insel verurteilt.
Nach Zwangsarbeit in Steinbrüchen stellen die Häftlinge ab 1960 unter anderem Terrazzofliesen
und Möbel her. Die Gefangenentransporte finden ohne jegliche Verpflegung und Sitzplätze
in Viehwagen statt, die aus dem Landesinneren mit der Eisenbahn zum Hafen von Bakar kommen.
Dort fesselt man sie an Händen und Füssen, bringt sie mit dem Schiff auf die Insel, je nach Wetterlage
in 5 bis 6 Stunden, auch bei starkem Sturm.
Auf der Nachbarinsel Sveti Grgur wird ein vergleichbares Gefängnis für Frauen, wo ähnliche
Zustände herrschen, errichtet; nichts ist darüber bekannt.