Das hat Paul Gautsch sich, geboren 1851, Wiener Jurist, der sein Studium
mit der Promotio sub auspiciis imperatoris abschließt (dabei wird dem Doktorkandidaten,
der die Maturitätsprüfung und alle Universitätsexamina mit ausgezeichnetem Erfolg besteht,
ein Brillantring mit den kaiserlichen Initialen überreicht), sicher nicht träumen lassen, dass ein nach ihm
benanntes Schiff, nämlich die "Baron Gautsch", 1914, vier Jahre vor seinem Tod, auf eine Mine
im Mare nostrum (lat. "unser Meer") der k. u. k. Monarchie aufläuft, während der Kaiser Franz
Josef I. ihn, der politisch als Vertreter der katholischen Restauration und
Gegner des Deutschnationalismus gilt, ab 1897 drei Mal zum Ministerpräsidenten von
Übergangsregierungen ernennt.
Kapitän Francesco Schettino,
der knapp 100 Jahre später - nicht weit von hier - eine ähnliche
Katastrophe herbeiführt, lässt grüßen ...
Seeleute sind abergläubisch:
Die Katastrophe passiert an einem 13., wenn auch an einem Donnerstag, im
August 1914.
Die "Baron Gautsch" legt gegen 11.00 Uhr in Veli Lošinj, Kurs Triest, ab.
An Bord befinden sich 66 Besatzungsmitglieder und 240 Passagiere, unter den Reisenden
viele Flüchtlinge, Sommerurlauber sowie Angehörige österreichisch-ungarischer Militär-angehöriger,
darunter zahlreiche Frauen und Kinder.
Das Schiff soll gegen 18.00 Uhr Triest erreichen.
Die "Baron Gautsch" und deren Schwesterschiffe wurden für die "dalmatinische Eillinie" gebaut,
eine Route südlich der österreichischen Riviera an der Küste von Istrien und Dalmatien.
Heimathafen und Ausgangspunkt jeder Überfahrt ist Triest. Das Schiff transportiert auf
seinen Reisen Pendler, Geschäftsreisende sowie Urlauber und Sommergäste, die die beliebten
Seebäder der Adria besuchen.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs zieht die k. u. k. Kriegsmarine Österreich-Ungarns die
Handelsschiffe zum Kriegsdienst ein. Sie erhalten Tarnanstriche und dienen als Hilfskreuzer,
Truppentransporter oder Versorgungsschiffe. Die "Baron Gautsch" übernimmt die k. u. k. Kriegsmarine
im Juli 1914; auf vier Fahrten, bei denen das Schiff Versorgungstruppen nach Kotor bringt,
legt sie 1.810 sm zurück und befördert 2.855 Personen, auf den Rückreisen evakuiert sie Zivilisten in
die Häfen der nördlichen Adria.
Im August ist der Einsatz beendet, der Österreichische Lloyd erhält "Baron Gautsch" zurück.
August 1914:
Tenze, 2. Offizier auf der "Baron Gautsch", erhält vor dem Auslaufen vom k. u. k. Seebezirkskommando in
Triest genaue Anweisungen zum Kurs, die Kriegsmarine hat Minenfelder in der Adria gelegt.
Tenze leitet die Informationen an seinen Kapitän weiter, sie legen die Route für die Überfahrt
fest. Die Informationen ergehen mündlich, schriftliche Aufzeichnungen sind aus
Geheimhaltungsgründen nicht erlaubt.
Per Funk gehen auf dem Rückweg von Kotor nach Triest weitere Anweisungen zur Navigation ein.
Das Kommando hat Kapitän Paul Winter. 1. Offizier Josef Luppis ist für die Wache bis 14.00 Uhr
eingeteilt und verlässt die Kommandobrücke (ohne Genehmigung oder Wissen des Kapitäns!)
eine Viertelstunde früher, um sich zum Mittagessen in den Speisesaal der Ersten Klasse zu begeben.
2. Offizier Tenze soll die Wache um 14:00 übernehmen, Kapitän Winter schläft in seiner Kabine.
"Baron Gautsch" läuft mit direktem Nordkurs, was sie wesentlich näher an die Küste Istriens
bringt, als die Anweisungen der Kriegsmarine das vorsehen.
Beim kommandierenden Offizier gehen mehrere Hinweise von Reisenden ein, dass die Kriegsmarine
hier Minenfelder legt, um den Hafen von Pula zu schützen.
Der Minenleger "Basilisk"
sichtet das Passagierschiff, es dampft direkt in die Gefahrenzone,
"Basilisk" gibt sofort Warnsignale, die man auf der "Baron Gautsch" jedoch nicht bemerkt
oder nicht versteht. Erst im letzten Moment erkennt man die Gefahr, reißt das Ruder hart herum,
doch das Schiff befindet sich bereits inmitten des Minenfelds.
Eine gewaltige Explosion reißt an Backbord die Bordwand auf, lässt den Dampfer erzittern.
Die "Baron Gautsch" ist auf eine Mine gelaufen. Kurz darauf eine weitere Explosion.
Die Erschütterungen lassen zahlreiche Menschen zu Boden stürzen. Dass Schiff
krängt schwer nach Backbord, nimmt rasend schnell Wasser auf. Panik und Chaos.
Der Ansturm auf die Rettungsboote beginnt, die schnell mit Passagieren
überfüllt sind, zu schwer, um sie auszuschwingen und zu Wasser zu lassen.
Bei anderen sind die Halterungen so fest gezurrt oder verwickelt, dass sie nicht klar zum
Fieren sind. Viele Menschen springen in Panik über Bord, ertrinken. Die "Titanic der Adria" sinkt in
7 Minuten.
Aus den geborstenen Öltanks läuft Schweröl aus, das Nasen, Augen und Ohren der im
Wasser schwimmenden Menschen verklebt, sie am Atmen hindert. Das Öl gerät stellenweise
in Brand und entfacht größere Feuer, in denen viele Reisende umkommen.
Viele überlebende Passagiere sagen aus, dass die Besatzung sich nicht um sie kümmerte
und nur an die eigene Rettung dachte. In vielen Rettungsbooten sollen wesentlich mehr
Mannschaften als Passagiere gesessen haben.
Eine Überlebende:
"Der Steward öffnete gerade die Kabinentür, um uns den Kaffee zu servieren, als eine gewaltige
Explosion das Schiff erschütterte.Wir alle wurden in die Luft geschleudert, und das Tablett mit
dem Kaffeeservice fiel in hohem Bogen zu Boden."
Carmen Rubini-Suttora erinnert sich genau an das Chaos, das auf dem todgeweihten Schiff
ausbricht:
"Wir liefen aus der Kabine an Deck, und ich erkannte den Kapitän, der in Unterhosen
versuchte, Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Meine Mutter hatte meinen jüngsten Bruder auf
dem Arm. Zum letzen mal sah ich sie an der großen Wendeltreppe am Promenadendeck."
Carmen hat Glück: Auf der Insel Lussino (Losinj) aufgewachsen und mit dem Meer vertraut,
kann sie schwimmen, springt über Bord und wird gerettet. Ihre Mutter und zwei ihrer Brüder verlieren
ihr Leben.
Hermann Pfeiffer, Arzt aus Graz, ist mit seiner Familie auf dem
Weg von Veli Lošinj nach Triest, Pfeiffer und sein dreijähriger Sohn Erny überleben,
während die junge Ehefrau und Mutter Grete ertrinken.
2014 erscheinen postum Pfeiffers Erinnerungen.
Kapitän und 1. Offizier werden gerettet, in Pula unter Hausarrest gestellt, Verfahren vor dem
Seegericht folgt, in den zwanziger Jahren sind sie wieder als Schiffsführer beim 'Lloyd Adriatico'
im transatlantischen Verkehr tätig.
Fast alle Gerichtsunterlagen über den Untergang und die folgenden Prozesse gehen verloren.
Zahlreiche Akten verbrennen 1927 beim Wiener Justizpalastbrand, weitere Dokumente
fallen den Novemberpogromen der Nazis 1938 zum Opfer, da der Rechtsanwalt Dr. Schapiro der Hinterbliebenen
Jude war, seine Kanzlei wird ausgeplündert.
In den 1920er Jahren dient das Wrack in 28 bis 40 m Tiefe der jugoslawischen Marine als Übungsziel
für Angriffsmanöver, die es stark beschädigen, heute ist es beliebtes Ziel zahlreicher
Tauchausflüge.
Seit 1992 tauchen auf dem Flohmarkt und in Antiquitätengeschäften Souvenirs von Bord der
"Baron Gautsch" auf, von der WC-Schüssel über Silberbesteck bis zum
Likörglas - das Schiffsporzellan ist mit dem Wappen des Llody markiert:
Wahlspruch "Vorwärts" ...