Odyssee


Astronavigation






Als er von Kalypso's Reich (Ustica) zu seiner Heimatinsel Insel Ithaka
segeln wollte, navigierte Odysseus astronomisch.

Der Kurs nach Ithaka

(V. Gesang 270 bis bis 277)

Freudig spannte der Held im Winde die schwellenden Segel
Und nun setzt' er sich hin ans Ruder und steuerte künstlich
Über die Flut. Ihm schloß kein Schlummer die wachsamen Augen,
Auf die Plejaden gewandt und auf Bootes, der spät erst
Untergeht, und den Bären, der wohl auch Wagen genannt wird,
Welcher im Kreise sich dreht, den Blick zum Orion gewendet,
Und allein niemals in Okeanos' Bad sich hinabtaucht.
Denn beim Scheiden befahl ihm die hehre Göttin Kalypso,
daß er auf seiner Fahrt ihn immer zur Linken behielte.



Jeder Segler (auch ohne Astro) weiß, daß der Nordstern oder die Polaris, genau im Norden steht. Und jeder kennt auch das Sternbild Großer Bär (Ursa major) oder Wagen, erste Orientierungshilfe am nächtlichen Firmament: Seine "Hinterachse" fünfmal verlängert, und zwar in die Richtung, wohin die "Deichsel" sich krümmt, und wir gelangen zum Nordstern.
Und das Frappierende: Polaris steht genau senkrecht über dem Nordpol, durch den die Erdachse geht (bis zum Südpol); auf der Verlängerung der Erdachse kommen wir zum Nordstern, um den sich (scheinbar) das All dreht. D.h. die Gestirne gehen im Osten auf und Westen unter. Mit einer Ausnahme, den sogenannten "Zirkumpolarsternen": Sie stehen so nah an dieser geannten Achse, daß sie auf der nördlichen Halbkugel nie hinter dem Horizont verschwinden. Ein weiteres Phänomen: Wenn wir die Höhe des Polarsterns über der Kimm messen, haben wir unsere geographische Breite (was schon die Alten kannten und selbstredend Kolumbus): das gängige Verfahren der 'Nordsternbreite'.

Wer sein Verständnis testen will:
Wenn wir uns am Äquator befinden, in welcher Höhe h sehen wir dann Polaris? Und in welcher Höhe, wenn wir am Nordpol stehen? Und auf 20° S?

Aus der Skizze wird deutlich: Es ist egal, ob wir am Erdmittelpunkt oder (wie das Segelschiff) auf der Erdkruste oder dem Meer stehen: wegen des Parallelwinkelsatzes entspricht die Höhe über der Kimm (jeden Sterns!) der Höhe h am Erdmittelpunkt!
In der Skizze wird der Stern G gemessen. Polaris befindet sich beim Punkt PN wesentlich höher!


An der Segelanweisung Odysseus' könnte verwundern, daß der Nordstern nicht erwähnt ist - für uns Heutige der klassiche Wegweiser nach Norden - , sondern nur Großer Bär, Bootes, Orion und Plejaden.
Die Erklärung:
Der Himmel damals sah anders aus als heute! Der Präzession, der Kreiselbewegung der Erdachse wegen, wandert der Himmelsnordpol in 26000 Jahren einmal im Kreis herum. Damit kippt auch die Himmels- oder Erdachse mit, d.h. der Abstand der Fixsterne zum Himmelspol verändert sich. Die Deklination, heute mit δ bezeichnet, der genannten Sterne war wesentlich größer, d.h. sie standen höher und damit näher am Himmelsnordpol. Mizars Deklination: heute 58°, damals 78°! Polaris stand weit vom Pol entfernt, nach ihr konnte man nicht nach Norden steuern!
Die Deklination auf der Himmelskugel entspricht also der Breite φ auf der Erdkugel.
Verständnistest: Muß δ auch mit Nord und Süd bezeichnet werden?
Auch Arctur - hellster Stern im Bootes (das erste o ist kurz, das zweite lang zu sprechen) - hatte eine wesentlich größere Deklination (heute ca. 20°), damals etwa 34°! Nun wird auch die Bemerkung vom "Späteintauchenden" verständlich: er befand sich viel länger über als unter dem Horizont!


Auch Ursa major war höher: Die sich im Kreis drehende Bärin und der sich in diesem Sternbild befindlich Dubhe kam maximal 20° westlich oder östlich der Nordlinie zu stehen.


Verständnistest:
Sah Odysseus oder ein Germane
auf unseren kalten Breiten
Dubhe eigentlich höher am Himmel stehen?


Das markansteste Sternbild am Nordhimmel: der Große Wagen mit dem schon genannten Dubhe. Der ebenfalls erwähnte Nordstern ist die Deichsel des Kleinen Wagens (der wegen der Luftverschmutzung nur noch selten zu sehen ist - und häufig mit den Plejaden (siehe unten!) verwechselt wird!). Von Dubhe über den Nordstern hinaus gelangt man zu Cassiopeia, dem "Himmels-W". Großer und Kleiner Wagen und Cassiopeia sind zirkumpolar!
Verlängert mit Schwung die Krümmung der Deichsel des Großen Wagens weiter, gelangt Ihr unweigerlich zum Arktur im Bootes - nur im späten Frühjahr zu sehen!
Und nochmals weiter - ebenfalls nur im Frühjahr - gelangt Ihr zu Spica in der Jungfrau! Sie hat schon südliche Deklination!
Testfrage: Welche Deklination hatte Spica 1991? Bis zu welcher Nördlichen Breite kann man Spica ausmachen?

Und die Deichsel de kleinen Wagens schließlich zeigt geanua auf Capella im "Wintersechseck", siehe unten!

Dieses "Wintersechseck" ist in Mitteleuropa etwa von Oktober bis Anfang März zu sehen. Das auffälligste Sternbild ist Orion mit zwei hellen Sternen, der roten Beteigeuze links oben und dem blauen Rigel rechts unten. Nach Osten gehts weiter mit Sirus, dem hellsten Fisxtern am Firmament - nur die Planeten Venus und Jupiter sind heller! Dann folgt Procyon im Kleinen Hund, sowie das Sternbild Zwillinge mit Castor und Pollux. Capella bildet die 5. Ecke und Aldebaran die 6. - er ist das rote Auge des Stieres neben den Plejaden, dem Siebengestirn.


Wenn er also Dubhe querab an Backbord hatte
(unterstellt Dubhe steht auf einer wahren Peilung
von 340° (der Fachmann sagt: das Azimut) d.h. 20°
westlich der Nordrichtung), fuhr Odysseus Floß
(340°+90°)=070°, d. h. er kam dorthin,
wohin er wollte: Zu den Jonischen Inseln...