Chamisso

Zitat S. 197ff:

Erforschung des Otdia-Atolls(Wotje)

Am 4. gegen Mittag, als wir im Begriff waren, das fernere Suchen aufzugeben, kamen wir auf eine Kette von Inseln, die sich unabsehbar von Osten nach Westen erstreckte. Auf den begrünten Punkten, die Riff und Brandung vereinigten, erhob sich nicht der Kokosbaum, und nichts verriet die Gegenwart des Menschen. Wir erreichten am Abend die Westspitze der Gruppe und fanden uns unter dem Winde derselben in einem ruhigen Meere. Das Riff, von Land entblößt, nahm eine südöstliche Richtung.. Wir segelten längs desselben und entdeckten Lücken in ihm, die uns die Hoffnung gaben, in das innere Becken, das eine ruhige Spiegelfläche darbot, einzudringen. Während der Nacht trieb uns der Strom nach Nordwesten. Am Morgen des 5. war das Land verschwunden. Wir erreichten erst gegen neun Uhr den Punkt, wo uns die Nacht befallen hatte.
Der Leutnant Schischmareff ward ausgesandt, die Eingänge zu untersuchen, und bei dem zweiten verkündigten uns seine Signale, daß ein Tor für den "Rurik" gefunden sei. Da stieg von einer der entfernten Inseln eine
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Rauchsäule auf; wir begrüßten frohlockend das Zeichen der Menschen. Kein Fahrzeug der Insulaner ließ sich erblicken.
Der Tag neigte sich schon. Das Boot ward zurückgerufen, und um uns die Nacht auf unserem jetzigen Standpunkt zu behaupten, ward ein Werpanker auf das Riff hinausgetragen und befestigt, dessen Tau in Empfang zu nehmen der "Rurik" unter Segel an die schäumende Brandung hinanfuhr. "So klammert sich der Schiffer endlich noch am Felsen fest, an dem er scheitern sollte." Der wehende Nordostpassat hielt uns um die Länge eines Taues von unserm Untergange entfernt.
Hier um das Riff und seine Öffnungen umringten uns Boniten, Fliegende Fische und eine Unzahl Haifische, die unsere Boote bedrohlich verfolgten. Zwei wurden gefangen und verspeist.
Am 6. veränderte sich vor Tagesanbruch der Wind und zum Osten übergehend, trieb er uns der schäumenden Brandung zu. Vom Kabeltau uns lösend, gingen wir unter Segel. Sobald die Sonne aufgegangen, kehrten wir zurück. Um zehn Uhr morgens drangen wir, zu beiden Seiten von der Brandung umbraust, alle Segel aufgespannt, mit Wind und Strom durch die Rurikstraße in das innere Meer der Gruppe Otdia der Inselkette Radack hinein.
Indem das Becken mit der Ebbe und Flut sich leert und füllt, setzt der Strom zu den Lücken seines Randes bei Ebbe hinaus und mit wiederkehrender Flut hinein.
Mit dem Boote ausgesandt, ermittelte der Leutnant Schischmareff bei der westlichsten der Inseln einen gesicherten Platz, wo der "Rurik" die Anker fallen ließ.

Die kühnen und geschickten Manöver, die Herr von Kotzebue beim Eingange in dieses und in andere ähnliche Riffgehege ausgeführt hat, müssen selbst bei dem, der von der Schiffahrt keine Kenntnis hat, Interesse erwecken. Der Europäer, der fern von der Heimat mit Völkern verkehrt, über die er sich im Vorteil fühlt, wird von manchen Anwandlungen des Dünkels versucht, denen sich hinzugeben er sich nicht übereilen müßte. Diese Söhne des Meeres, meinte ich, werden sich doch verwundern, wenn sie unser Riesenschiff mit ausgespannten Flügeln, wie den Vogel der Luft, gegen die Richtung des Windes, der es trägt, sich bewegen, in die Einfriedung ihrer Riffe eindringen und gegen ihre Wohnsitze dort nach Osten fortschreiten sehen. Und siehe! ich habe selber verwundert sehen müssen, daß, während wir schwerfällig lavierten und wenig über den Wind gewannen, sie auf ihren kunstreichen Fahrzeugen den graden Strich hielten, den wir auf krummen Wegen verfolgten, uns voraneilten und das Segel fallen ließen, um uns zu erwarten.
Ich werde nicht den Leser einzuschläfern mich bemühen mit ausführlichem Berichte unserer täglichen Versuche und Wahrnehmungen während unseres Aufenthaltes in diesem Hafen.
Die Absicht war, nachdem wir, was am 7. geschah, den auf dem Riffe zurückgelassenen Werpanker wieder aufgenommen, nötig erachtete astronomischeBeobachtungen gemacht und in Booten voraus rekognosziert hätten, tiefer ostwärts in die Gruppe einzudringen, wo wir die festen Wohnsitze der Menschen zu vermuten berechtigt waren.
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Eien traurigen Anblick gewährte dieser westliche Teil der Kette. Die nächsten Inseln um uns waren wüst und ohne Wasser, aber der Mensch hatte auf ihnen seine Spur zurückgelassen, und der jüngst angepflanzte Kokosbaum zeugte von seiner sorgsamen Betriebsamkeit. Es ist ist wahrlich schwer, alles vorauszusehen, was in einer kleinen Welt, wie die unsrige, vorfallen kann. Einmal fiel unser alberner Koch über diese Pflanzung her, um die Hoffnung künftiger Geschlechter zu einem Gericht Gemüse für unsern Tisch zu verbrauchen. Daß es nicht wieder geschah, brauche ich nicht zu sagen.
Auf der vierten Insel (vom Westen an gerechnet) waren neben einer Wassergrube Strohdächer, die, auf niederen Pfosten ruhend, uns nur zu einem Schirm bei gelegentlichem Besuch dieser Gegend bestimmt zu sein schienen. Außer dem Kokosbaum war da auch der Brotfruchtbaum angepflanzt. Auf dieser Insel landete am 6. ein Boot der Eingeborenen und ging sodann wieder in die See, uns aus scheuer Entfernung zu betrachten. Es gelang uns nicht, die Menschen an uns zu locken, und auch vor dem Boote, worin wir ihnen entgegenruderten, ergriffen sie ängstlich die Flucht. Sie warfen uns etliche Früchte zu und luden uns an das Land; es war derselbe Auftritt wie im vorigen Jahre auf der hohen See bei Udirick (Utirik).
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Von den Tieren, die wir zu 0-Wahu an Bord genommen, waren noch etliche Ziegen vorhanden. Diese setzte Herr von Kotzebue auf der Insel aus, wo sie vorläufig zum Entsetzen der rückkehrenden Insulaner gereichten. Bei der frommen Absicht, diese nutzbare Tierart auf Radack einzuführen, war unbeachtet geblieben, daß bei der kleinen Herde ein Bock sich befand (hoffentlich nicht der einzige), ein Bock, sage ich, der - horribile dictu! ein kastrierter war. Derselbe, ob vor Scham, seinem Amnte nicht gewachsen zu sein, ob an Gift oder Krankheit, starb sogleich, und dessen geschwollener Körper ward am andern Tage am Strande gefunden. Außer den Ziegen wurden auf der Insel ein Hahn und ein Huhn zurückgelassen, die alsbald Besitz von einem Hause nahmen. Wir brachten später in Erfahrung, daß Hühner einheimisch auf diesen Riffen sind. Endlich wurden auch etliche Wurzeln und Gewächse gepflanzt und ausgesät.
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Der Leutnant Schischmareff ward am 10. Januar mit der Barkasse auf eine Rekognoszierung ausgeschickt. Wind setzte ihm Schwierigkeiten entgegen. Er sah unbewohnte Inseln und kehrte am Abend zurück. Am 12 gingen wir unter Segel, das Wetter war ungünstig, wir mußten bald zu unserm alten Ankerplatze zurück. Am 14. unternahm der Kapitän selber mit Offizier und Passagieren eine zweite Fahrt auf Booten längs Inselkette.
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Wir übernachteten am 15. auf der neunten Insel, wo wir nur verlassene Häuser fanden. Sie war reicher an Humus als die Ziegeninseln, und die Vegetation war auf ihr üppiger. Am 16. hielten wir zu Mittag auf der dreizehnten Insel und hatten vom Schiffe her erst neun Meilen zurückgelegt. Hier erhielten wir den zweiten Besuch ...
Wir fuhren nachmittags noch anderthalb Meilen zu der hochbewaldeten vierzehnten Insel. Von da erstreckte sich das Riff nach Nordosten, mehrere Meilen weit landentblößt; die nächste Insel war kaum am Horizonte zu sehen. Ein Schiff konnte bei der Insel, wo wir waren, ankern. Der Kapitän ließ Segel aufspannen, und bei frischem Wind erreichten wir noch am selben Abend den "Rurik"
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Am 18. Januar ging früh am Morgen der "Rurik" unter Segel. Der Wind war günstig und zwang uns erst am Nachmittag zu lavieren; das Wetter war klar, und helle Sonne, welche die Untiefen beschien, machte das Senkblei entbehrlich. Um vier Uhr warfen wir Anker vor Oromed, der siebzehnten Insel vom Westen an gesehen, die, von der westlichsten beiläufig zwanzig Meilen entfernt, den nördlichen Winkel der Gruppe einnimmt. Wir übersahen von diesem wohlgeschützten Ankerplatze den nordöstlichen Teil der Gruppe, den mit kleineren Inseln dicht besetzten Wall, der in Nordostrichtung dem herrsche Winde entgegen steht. Wir waren in dem bewohnteren Teile der Gruppe.

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Auf Oromed, der fruchtbarsten der Inseln dieses Riffes, auf welcher jedoch der Kokosbaum den Wald noch nicht überragt, empfing uns ein hochbejahrter, würdiger Greis, der Häuptling Laergaß. ...
Die Bevölkerung der Insel schien aus ungefähr dreißig Menschen zu bestehen.
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Wir verließen am 20. Januar diesen Ankerplatz, und längs des Riffes segelnd, kamen wir nach einer kurzen Fahrt vor Otdia, die Hauptinsel der Gruppe gleichen Namens, welche, die größte im Umfang, den äußersten Osten des Umkreises einnimmt.
Wir fanden unter dem Schutze der Insel einen guten Ankergrund und lagen so sicher wie im besten Hafen. Das Riff biegt sich über Otdia hinaus nach Südsüdwesten und dann, von Land entblößt, nachWest und der Rurikstraße hin.

Die Länge der Gruppe, von Westen nach Osten gerechnet, beträgt an dreißig Meilen, ihre größte Breite von Norden nach Süden zwölf Meilen. Herr von Kotzebue zählte fünfundsechzig Inseln in ihrem Umkreis.
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Auf der Insel Otdia, die über zwei Meilen lang ist, hatten ungefähr sechzig Menschen ihre gewöhnlichen Wohnsitze, aber häufigeWanderungen fanden statt, und unsere Gegenwart zog Gäste aus den entfernteren Teilen der Gruppe herbei. Wir durchschweiften täglich einzeln die Inseln, schlossen uns jeder Familie an und schliefen unbesorgt unter ihren Dächern.
Unter den Bewohnern von Otdia machte sich bald ein Mann bemerkbar, der, nicht von adeligem Stamme, sich durch Geist und Verstand, durch schnelle Auffassung und leichte Darstellungsgabe vor allen andern auszeichnete. Lagediack, der Mann unseres Vertrauens, von dem wir am mehrsten lernten und durch den wir unsern Lehren Eingang im Volke zu verschaffen Hoffnung faßten, tauschte später mit mir seinen Namen. Herr von Kotzebue erhielt zuerst von Lagediack wichtige Aufschlüsse über die Geographie von Radack. Durch ihn erhielt er Kunde von den schiffbaren Furten, die im südlichen Riffe von Otdia befindlich sind, sowie von der Nachbargruppe Erigup (Erikub) und von den übrigen Gruppen aus welchen die Inselkette besteht. Lagediack zeichnete seine Karte sorgfältig mit Steinen auf den Strandl mit dem Griffel auf die Schiefertafel und zeigte die Richtungen an, die nach dem Kompaß verzeichnet werden konnten.

Das Riff trägt im Süden von Otdia außer mehreren kleineren und öden nur zwei fruchtbare und bewohnte Inseln. Die erste, Egmedio, unterscheidet sich dadurch von allen andern, daß der Kokosbaum sich nur auf ihr hoch über den Wald erhebt und nur auf ihr Wurzelstöcke ausgestorbener Bäume vorhanden sind. Sie war der Aufenthalt von demHäuptling Langien,dessen Besuch wir auf dem "Rurik" schon empfangen,
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Am 28. Januar ward in zwei Booten eine Fahrt unternommen, um die von Lagediack uns angegebenen Furten zu untersuchen. Wir legten auf Egmedio an, wohin uns Langien, der sich zur Zeit auf Otdia aufhielt, vorausgeeilt war, uns als Wirt in seiner Heimat freundlich zu empfangen;
Die Insel schien nur von ihm, seiner Frau und einigen anderen Menschen bewohnt zu werden.
Wir hatten am selben Tage eines der Tore, die Lagediackstraße, untersucht; der "Rurik" hätte diese Furt nicht ohne Gefahr befahren können. Des ungünstigen Wetters wegen verzichteten wir darauf, die nächste Straße zu erreichen, und suchten ein Unterkommen für die Nacht. Dazu eigneten sich die nächsten wüsten Inseln nicht; wir mußten bis zu der zurückgehen, die den Winkel der Gruppe einnimmt.
Wir hatten auf der Insel Otdia die ganze Bevölkerung der Gruppe kennengelernt. Wir erreichten an diesem Morgen (29. Januar) das Schiff.
Die andere Furt ward später, am 3. Februar, von Gleb Simonowitsch in der Barkasse rekognosziert und nach ihm die Schischmareffstraße benannt. Zu derselben kann jedes Schiff bequem, sicher und ohne umzulegen mit dem wehenden Passatein, und ausfahren.

Wir lichteten am 7. Februar 1817 mit Tagesanbruch die Anker;

Und heute steht im Internet über Wotje: