WOLFRAM
VON
ESCHENBACH




Das Meer trägt nicht so viele Wogen,
wie Menschen um Land und Burgen
und Ruhm erschlagen wurden

(Wolfram von Eschenbach, Willehalm)

Wer in Rhodos unter den früheren Schenkeln des Kolosses - den Hirsch Stb, die Hirschkuh Bb lassend - einläuft und vor Moorings festmacht, liegt unterhalb einer fränkischen Kreuzritterburg, die über allem thront, wenn auch im Zentrum (nach der Eroberung durch Suleiman den Prächtigen) eine Moschee dem Gott der Eroberer errichtet wird …





Wer Anfang des 13. Jahrhunderts, als die Losungen

Hie Welf! - Hie Waibling!

gelten, auf seinem Adelssitz im Palas dem Sänger lauschte, der aus einer anderen fränkischen Kreuzritterstadt stammt, der sang von der Belagerung Bêârosches und von Vergulaht, der wusste, wovon Wolfram erzählt.
Und wenn der Dichter zu sprechen kam auf die Huftritte der Pferde, unter denen der Erfurter Weinberg versank

Erffurter wîngarte giht von treten
noch der selben nôt:
maneg orses fuoz die slâge bôt,

dann war sein Vortrag des Mitgefühls der Ritter und der Minnefräulein Rührung gewiss.

Und wenn er diese Strophen vor Hermann von Thüringen, seinem Gönner, darbrachte, ist die Wirkung noch einmal stärker, denn tief ist der Landgraf in die vom Sänger verwobene Zeitgeschichte verwickelt. Trägt doch Vergulahte unverkennbar die Züge Philipps von Schwaben.

Dass Wolfram je auf der Johanniterburg in Rhodos sang, ist eher unwahrscheinlich. Denn wir wissen fast nichts über ihn.

Wer aus dem Wattenbachtal kommend die für Franken ungewöhnlich weite Ebene vor dem Mönchswald erreicht, sieht im glasierten und gewalmten oktogonalen Pyramidenziegeldach des Turms vom Liebfrauenmünster in Wolframs-Eschenbach, mit 63 m höchster Kirchturm der Diözese Eichstätt, farbige Motive der Manesse-Handschrift, Gebotszeichen zum Eintritt in Stadt und Kirche. 1860 stiftet König Maximilian I. von Bayern ein Denkmal in neuromanischem Stil.

Eduard von Riedel, Baumeister des Schlosses Neuschwanstein, liefert den Entwurf und Eduard Knoll, Schöpfer der Münchner Bavaria, modelliert die lorbeerbekränzte Statue.
Vier wasserspeiende Schwäne weisen weniger auf Parzival als auf Lohengrin hin, hopfenbekränzt wirbt Wolfram für die ehemals ortsansässige Brauerei.
Und wer auf der BAB 6 durch die Gegend rast, falls die LKW-Endlosschlange dies zulässt, passiert die Hinweistafel auf Wolframs Geburtsort.

Und wer schließlich die Einkaufsmärkte im Süden der Stadt Wolframs-Eschenbach aufsucht, biegt in die Parzivalstraße ein und dreht einen Vollkreis um einen gewappneten Ritter, der seine Ohren weit hochstellt ins fränkische Land, um dem Schlachtruf der närrischen Garden zu lauschen: "Minnesänger aha!" schallt es da dreifach zurück.

Er kam sechs Fähnlein stark geritten:
Von denen wurde bald gestritten.
Posaunen hört man krachend tönen,
So pflegt der Donner zu erdröhnen,
Wenn er die Welt in Schrecken setzt.
Wirbelnd stimmten Trommeln jetzt
In der Posaunen Blasen.
Blieb noch ein Halm am Rasen
Unzerstampft, so weiß ichs nicht.
Der Erfurter Wingert spricht
Noch von solcher Tritte Noth,
Dem mancher Huf Verwüstung bot.




Plastisch die Schilderung vom Erfurter Weingarten, in welchem Landgraf Hermann mit seinen Rittern so haust, wo König Philipp sich verschanzt; Hermann ficht auf Ottos, des Gegenkönigs Seite. Diese Verwüstungen im Erfurter Wingert hat er gesehen, als er kurze Zeit später nach Eisenach kommt. Viel mehr wissen wir nicht vom Sänger des Parzival.

Denn über ihn hat niemand außer ihm selbst Zeugnis abgelegt - und da hat Wolfram mehr Spuren verwischt als gelegt. Der Sänger lässt seinen Erzähler als Ritter auftreten, des Lateinischen unkundig, dem Wertheimer lehnspflichtig, ein Bayer, aus Eschenbach stammend. Eindeutig und überzeugend ist der Gesang, so der bayerische König - und so verfügt r im vorletzten Dienst- und Kriegsjahr, dies könne allein Obereschenbach Kreis Ansbach sein: eines Dichters Namen, einzig in Deutschland, trägt seitdem die mauerbewehrte Stadt.



Wer deren Kunde will empfahn,
Der rechn es für kein Buch mir an:
Ich kenne keinen Buchstaben.
An Büchern mag, wer will sich laben:
Diesen Abenteuern
Sollen Bücher nicht steuern.
Eh man sie hielte für ein Buch,
Lieber wär ich ohne Tuch
Nackt, wenn ich im Bade säße,
Des Büschels freilich nicht vergäße.




Gelehrtengenerationen rätseln über das kokette Spiel mit des Sängers Bildung, der sich auskannte in Medizin, Geographie, Alchemie, Literatur und Astronomie samt Astrologie, Stein-, Pflanzen- und Bilbelkunde wie kein andrer. Dass die Dichtung auf eigenen Mist gewachsen und nicht angelesen ist, will uns Wolfram sagen. Simrocks Übersetzung ist hier irreführend, wörtlich holprig muss es nämlich so heißen:
Mit Buchstaben kann ich nichts anfangen. Von denen gehen genügend Dichter aus: diese Geschichte ist ohne Hilfe der Bücher auf dem Weg, was original tönt:
ine kann decheinen buochstap.
da nement genaoge irurhap'
disiu aventiure
vert ane derbuoche stitire




Auch unwahr, denn Wolfram hat sich Chrétiens de Troyes Arthur-Roman angelesen und zu eigen gemacht, ihn frei erweitert.
Über Frau und Kind, Haus und Hof hört das erlauchte Publikum:
Wer nun von Frauen beßer spricht,
Fürwahr, ich haß ihn darum nicht;
Ich vernehme gern, was sie erfreut.
Nur Einer bin ich unbereit
Hinfort zu dienstlicher Treu,
Ihr ist mein Zorn immer neu;
Ihr Fehltritt schafft mir Ungemach.
Ich bin Wolfram von Eschenbach,
Nicht unerfahren im Gesange,
Und halte fest wie eine Zange
Meinen Zorn wider ein Weib,
Denn sie hat mir Seel und Leib
Betrübt durch solche Missethat,
Sie zu haßen, anders ist kein Rath.
Trifft mich darum der Andern Haß,
O weh, warum denn thun sie das?


Einstimmen auf das folgende Drama will uns der Sänger, der Zuhörer kann nur Vermutungen anstellen zum Ich des Sängers.



Von einem Turnierplatz im Fränkischen singt der Sänger, weitberühmter Mittelpunkt höfischer Ritterkultur, bei Burg Abenberg, die Gäste heute mit Urkunden als geprüfter Franke verlassen, nennt Burg Wildenburg, wohl Wehlenburg nahe Ansbach, oder Burg Heit- alias Haidstein in der Markgrafschaft Cham.
15 vollständige Texte gibt es bekanntlich, jedermann unter den Rittern und jedefrau in den Kemenaten hat vom Parzival gehört, das bestüberlieferte mittelhochdeutsche Stück, oft und oft weitergedichtet bis zu des Bayreuthers Wagner Lohengrin und den Rappottsteiner Porzival.

San-Marte liefert 1836 die erste vollständige Übersetzung, Duellant, königlich preußischer Auscultator, Geheimer Regierungsrat und Nichtfachmann, dessen literarisches Hobby zur Strafversetzung nach Bromberg führt.



(Ende Buch 6)

Peter Wapneski, Professor der Deutschen Literatur des Mittelalters, liest und kommentiert den Parzival des Wolfram in der Mohr'schen Übertragung wohl am kundigsten.

Kirche Wolframs-Eschenbach

Wieder nur Zeugnis vom Hörensagen aus spätmittelalterlicher Quelle: eine überlieferte Grabplatte, nicht authentisch, weil 4 Jahrhunderte später gefertigt: Sein angebliches Grab, das ein Patrizier aus Nürnberg 1608 in der Liebfrauenkirche zu Eschenbach findet, deren farbig gebranntes Ziegelspitzdach weithin sichtbar ist im flachen Land am Mönchswald, mit Inschrift und Krugwappen: Hie ligt der Streng Ritter herr Wolffram von Eschenbach ein Meister Singer. Oder auch Wolfelin von Eschenbach, „miles“ taucht lang erst nach Wolframs Zeit auf...

Von Eltern erzählt das Lied, von des Jungen Weg zur Ritterschaft, von nicht gestellten Fragen, vom geheimnisumwitterten heiligen Gral, der eine Schar zur Erde und wieder zurück zu den Sternen bringt, von der Wahl zum Gralskönig, von der Abkehr von Gott, von der Trauer Sigunes um Schianatulander, es singt von Gawan und Artusrittern, beruft sich auf Salomos Verwandten Flegetanis, und Kyot, der in Toledo fündig wurde. Und alles weist Wolfram aus als einen der Großen abendländischer Dichtung, voll Phantasie und Humor, mit Verständnis und Sympathie für alles Menschliche, dennoch auf der Suche nach dem Höchsten und Letzten, Leben, echter Adel und Schreiben einander ganz nah:

Weshalb denn
bedürfte es Antworten
auf die Frage nach seinem
Woher?



Auf dem gepflasterten Platz vor seinem Museum, zu dem er hinüberblickt, steht stolz seit 1861 in Galakleidung mit Harfe zwischen vier Schwänen auf einem Brunnen im Stil der alten Zeit Minnesänger und Ritter Wolfram von Eschenbach.



Und tritt 2005 auf Burg Falkenstein im Harz zum Sängerkrieg an und siegt.
Fränkisch sei sein Stil, maniriert, rügt der andere Minnesänger, Gottfried von Straßburg, Wolframs Rivale.

Ein Büchersammler, dichtender Ritter und Wolfram-Verehrer namens Jakob Püterich von Reichertshausen berichtet 1462, ein Hochgrab dort gefunden zu haben mit Wolframs Wappen, Helm mit Krug, aus dem fünf Blumen herausragen und der Nürnberger Kreß, der 1606 das Kenotaph noch gesehen haben will, zitiert seine Inschrift:
Hie ligt der Streng Ritter herr Wolffram von Eschenbach ein Meister Singer, womit er die Nichtauthenzität des Grabes erweist:
Zu Wolframs Zeiten gibt es weder strenge Ritter noch Meistersinger. Wolframs Sprache aber ist fränkisch mit bairischen Eigenheiten, gewiss sind Franken und Bayern seine adligen Zuhörer, ein oberpfälzisches Eschenbach erhebt Anspruch auf den vindære wilder mære,

den fahrenden Sänger von zweifelhaft blauem Blut, der sich selbst einen beier nennt. Und das Obereschenbach in Franken war vor 1806 niemals bayrisch, wenn auch ein Eschenbacher aus niederem Adel Lehensmann der Wertheimer, zu deren Territorium das fränkische Eschenbach als Lehen des Hochstifts Eichstätt wie auch das südöstlich davon gelegene Blîenvelde sprich Pleinfeld, gehörten. Und über gut hundert Jahre ist eine Familie derer von Eschenbach dort bezeugt.
Des Sängers kokette Selbstauskunft,

swaz an den buochen stêt geschriben,
des bin ich künstelôs beliben.
niht anders ich geleret bin,

also Analphabet zu sein, bekanntes Topos der geistlichen Literatur für den Ausdruck der Nichtigkeit weltlichen Wissens gegenüber göttlicher Inspiration, zeigt gerade seine Vertrautheit mit lateinischer Bildungstradition. Jedes Jahr erscheint er in neuem Kleid oder ganz ohne:
Als roter Ritter der Tafelrunde - mit eigener Homepage und eigenem Museum, als Merlin, als Marionette, als Aktiver, als mittelhochdeutsch radebrechender Vorleser auf CD, als Schneller Brüter, als Syndrom, Emblem, Jazz-Oratorium, Installation, Osterei, als Schizophrener, Surrealistenprotokollant, Entschleuniger, Tänzer, Leinwandheld, Schlagersänger, als Brite im Originalgewand, der Hirse isst und auf Stroh schläft, als Spielmann und Gaukler: Parzival rides again.

Sucht Ihr den Parzival vom Anfang, oder vom Ende, den Irrenden oder den durch Gottes Gnade zum Gralskönig Berufenen, den Versager oder Erlöser, den tumben Lernenden oder Wissenden, den Außenseiter oder Integrierten?
Parzivals Ahnungslosigkeit, seine Reflexion der Zeichenhaftigkeit der Welt in der Kleidersuche und ihrem Tausch, die Namenssuche und der Namenswechsel angesichts unserer Überproduktion von Zeichen lassen Parzival in der Geschichte der Literatur nach Odysseus, der nicht Eigenidentität sondern Neues suchte, erstmals zum Sinnsucher werden. Die frappanteste Erfahrung, die der mittelalterliche Patron einem seiner vielen Nacherzähler angedeihen ließ, war diese:
je exakter er’s mit der Nachschrift nehmen will, desto weniger 'treu' kann er ihm folgen.

Und damit passt sein Werk in fränkische Kulturgeschichte, die sich auszeichnet durch Namen wie Grünewald oder Jean Paul, dessen Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, den existenzialistischen Fragen von Wolframs tumben Thor Parzival an Herzeloyde und der Tiefe der universalen Farbwelten und Wesen Mattis des Malers in nichts nachsteht.
Und marschiert mit im Zug zur „Alten Vogtei“, einst Verwaltungszentrum der Deutschherren mit dem Kreuz auf dem Rücken in aller Welt, heute schönes Wirtshaus, wo Mittelmeer-, Channel- und Karibiksegler ihre Crew-Treffen abhalten...