F A R M A K O N I S I











































































































































































































































































































































































Knapp 6sm vor der türkischen Küste liegt die kleine Insel Farmakonisi, auch Pharmakonisi, Pharmakos, Farmaco oder Pharmakousa, in der südlichen Ägäis mittig zwischen Dodekanes und Kleinasien, ihr höchster Hügel ist 106m hoch.
Immer schon ist die Insel Ziel von Seeräubern und Schleppern und seit alters Zankapfel der NATO-Partner Griechenland und Türkei.
In der Antike macht der junge Cäsar, wie uns Plutarch erzählt, seine Erfahrung mit Piraten auf dem Eiland:





(Eine andere Version besagt, dass die Freibeuter Cäsar sehr gut behandelt hätten, so dass er sie nicht kreuzigen, sondern stattdessen "nur" hat enthaupten lassen.)

Wer nachts bei ruhigem Wasser und Flaute auf See unterwegs ist, weiß, wie weit auch leiseste Laute tragen.
Als wir bei unserem Ägäis-Törn 1996 gegen 22 Uhr den Landfall wagen, gestaltet sich alles kompliziert. Just in der letzten Phase versteckt der Mond sich im Gewölk, auch Sterne sind keine zu sehen, die Kennung des Leuchtfeuers und der Widerschein unserer Positionslampen machen die Nacht noch schwärzer. Einer sitzt am GPS, wir tasten uns je eine Kabellänge nordwärts, dann eine hundertstel Minute ostwärts, am Ende, als heller Kalkstein am Ufer undeutlich auszumachen ist, lässt der Skipper die Lichter, um letzte Störquellen auszuschalten, löschen, das Echolot zeigt stabil 12 Meter. Unser Skipper hat gedient, und meint, erzählt er später, im Vorwärtstasten Halluzinationen zu haben: Die Luft sei rundum vom leisen charakteristischen Klappern erfüllt gewesen, dem Klappern, das er wochenlang im Manöver oder auf Fußmärschen im Ohr gehabt, das herrührte von den Ringen an den Aluminium-Klemmschnallen am Koppel der NATO-Soldaten, die zum Anhängen von Kriegsgerät dienen.


Da plötzlich, der Skipper stoppt, sieht der Ausguck vorn und wir im Cockpit das vor uns querende Schlauchboot, besetzt mit etwa acht Uniformierten, die ihre Schnellfeuerwaffen auf uns richten.
Ein der griechischen Sprache mächtiger Mitsegler erklärt, nachdem der griechische Kommandant uns barsch des Platzes verwiesen - hier sei militärisches Sperrgebiet - umständlich, wir befänden uns im Frieden, in keiner unserer Karten und Handbücher sei das Sperrgebiet verzeichnet, Griechenland und die Türkei seien NATO-Partner und enge Nachbarn, bis er endlich zum Thema kommt, wir seien übermüdet und außerstande, weiterzusegeln. Dann passiert für Kenner militärischer Hierarchie unglaublich Einmaliges:
Die Untergebenen überzeugen den Führer, uns wenigstens bis zum Ende der Nacht hier ankern zu lassen. Wir verbringen eine gesicherte Nacht, denn, wie wir bei Sonnenaufgang feststellen, überzieht den gesamten Hang rund um die Westbucht von Farmakonisi eine Kette von MG-Nestern, mit jeweils zwei bis drei Soldaten in Kampfausrüstung.


Um 19-10 hatten wir bei Nord-Kurs auf Position 37°04,3’N 027°07,2’E bei der Insel Imia Nahezukollision mit der griechischem Fregatte Psara - was uns hätte zu denken geben müssen.



Bis 1996 kennt niemand in griechischen und türkischen Landen die einsamen Felsen in der Ägäis, außer den Fischern, die dort ihre Netze auswerfen und vorbeisailenden Skippern, für die N. Imia alias Kardak Adalari ohne Bedeutung ist, es sei denn als waypoint.
Noch immer ist - so oder so ähnlich muß das Verhältnis Frankreich – Deutschland vor gut hundert Jahren gewesen sein - der Unteschied zwischen Abend- und Morgendland, Europa und Asien, zwischen Islam und Christentum groß.



Die Diplomaten sprechen von nicht gesicherter Zugehörigkeit des Eilands, die Chronik trägt tragikomische Züge:
Am 26. Dezember 1995 läuft ein türkisches Schiff bei den Inseln N. Imia auf Grund, es verweigert Annahme der Hilfe von griechischen Behörden, der Platz liege in türkischen Gewässern. Am 28. Dezember 1995 kommt das Schiff mit griechischer Hilfe frei.
Im Januar 1996 macht die Zeitung Hyriet die Zugehörigkeit von Imia alias Kardak zum Thema, am selben Tag hissen Behörden auf Imia die griechische Flagge.
Marineeinheiten beider Länder eilen in das Gebiet, versorgen die Fernsehzuschauer mit Bildern martialischen Kriegsgeräts, der einheimische Fischer geht wie immer ungerührt seinem Fang nach. Am 28. Januar 1996 holen türkische Journalisten die griechische Flagge nieder, hissen Halbmond mit Stern auf rotem Grund, die griechischen Regierung lässt erneut die eigene Flagge (in bayerischen Farben) setzen und den Vorfall vor die Weltöffentlichkeit bringen. Die USA zwingen beide Seiten zum Abzug ihrer Marineeinheiten, noch während der Verhandlungen gehen 10 türkische Soldaten auf einer ebenfalls von Griechenland beanspruchten kleinen Insel an Land.


Auf Farmakonisi bewachen nun die Griechen die Außengrenze Europas.





Immer wieder erscheinen Presseberichte über Schlepper, die Asylsuchende dort anlanden.




Und über die Wächter, die Europa im Zuge seiner Abschottungspolitik vor Flüchtlingen schützen.

Pro Asyl 2014:
Tod im Schlepptau der Küstenwache

Vor der griechischen Insel Farmakonisi starben in der Nacht zum 21. Januar zwölf Flüchtlinge, als die griechische Küstenwache versuchte, ihr Boot völkerrechtswidrig zurück zur türkischen Küste zu schleppen. Dies berichteten die Überlebenden gegenüber dem UNHCR.
Das Fischerboot mit 28 Menschen aus Afghanistan und Syrien an Board kenterte nahe der Insel Farmakonisi im Schlepptau eines griechischen Küstenwacheschiffes. Unter den zwölf Toten sind Medienangaben zufolge vor allem Kinder und Babys. Die 16 Überlebenden wurden auf die Insel Leros gebracht, wo Mitarbeiter des UNHCR sie gestern befragten. Den Überlebenden zufolge habe das Schiff der Küstenwache ihr Boot in Schlepptau genommen und sei dann bei unruhiger See mit hoher Geschwindigkeit in Richtung türkische Küste gerast. Bevor ihr Boot kenterte, hätten die Flüchtlinge in Panik um Hilfe geschrien und auf die an Bord befindlichen Kinder hingewiesen.
Die griechischen Behörden sprechen dagegen von einer Rettungsaktion. Die Küstenwache habe das Boot der Flüchtlinge Richtung Farmakonisi gezogen, als plötzlich zwei der Flüchtlinge aus „unbekannten Gründen“ ins Wasser gesprungen seien und damit das Boot zum kentern brachten, so die Behörde gegenüber Ekathimerini. Auf der Homepage der Küstenwache heißt es, ein Großteil der Passagiere hätte sich auf einer Seite des Bootes versammelt und es damit zum Kentern gebracht.
Vor dem Hintergrund der Berichte der Überlebenden und der von PRO ASYL dokumentierten Praxis systematischer Zurückweisungen von Schutzsuchenden durch die griechische Küstenwache scheinen diese Versionen kaum plausibel. „Die Leute sitzen in der Regel genau so, wie die Polizisten es ihnen befehlen – meist unter vorgehaltener Waffe“, widerspricht eine griechische Aktivistin, die zahlreiche Push-Back-Operationen untersucht hat, der Version der Küstenwache.


Mai 2014:
In der Ägais kentern zwei Flüchtlingsboote vor der Insel Samos, 36 Menschen können gerettet werden, mindestens 22 sterben, darunter auch vier Kinder.
"Es war schlimm. Eine Frau hielt in ihren Armen ihr Kleinkind. Beide waren ertrunken", sagt ein Augenzeuge im staatlichen griechischen Rundfunk.
Nach den Berichten der Geretteten hätten sich 60 bis 65 Menschen an Bord der Flüchtlingsboote befunden.
Hunderte Einwanderer aus Afrika und dem Nahen Osten sind in diesem Jahr bei der Überfahrt nach Europa ums Leben gekommen. Griechenland, Italien und Malta fordern die EU wiederholt auf, sie bei der Bewältigung des Andrangs stärker zu unterstützen. Die Gewinne der Schleuser sind groß. Für die Überfahrt von der türkischen Ägäisküste zu einer der griechischen Ägäisinseln kassieren sie zwischen 400 Euro und 600 Euro pro Person.
Der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah wirft den Europäern Verrat an unserer Geschichte vor:















Türkische Flugzeuge über Farmakonisi




Protokoll einer vermeidbaren Katastrophe vor Farmakonisi

Systematische Menschenrechtsverletzungen an den griechisch-türkischen See- und Landgrenzen