Inhalt und Form
List heißt auf Griechisch Technä. Odysseus, der Listenreiche, der erste Techniker
auf Welterkundung. Geographie wird zur ersten technischen Karte, zum Schaltplan der alten
Welt.
Auch die Wehleidigkeit und das Heimweh des Helden können zur List werden,
sowie man im Wirtshaus von einem Bier zum nächsten bis zur Sperrstunde sich selbst
auf den Heimweg wünscht, den man nicht antritt.
Die Gefährten sind das Personal im sicheren Zuhause. Auf der Reise gehen sie verloren -
so wie die selbstverständliche Ordnung
des Ansässigen auf der Reise verlorengeht. Unterdessen memoriert Penelope
beim Weben immer denselben Text des Zuhause, als wäre sie die Journalistin
seiner Abenteuergeschichten.
Der Text der Odyssee selbst ist kunstvoll und labyrinthisch
verschlungen, als würde der Erzähler mit Vor- und Rückblenden, mit
Einschüben und der Verschränkung verschiedener Welten und Orte schon in
der äußeren Gestalt des Liedes die Irrfahrt - die Verwirrung des Helden
beschreiben wollen.
Typen
Odysseus läßt sich sein Leben retten - Athene als Alma Mater - zwischen
Mariazell und Cape Canaveral, Athene ist die liebe Wissenschaft, die alles
Abenteuer ins Abstrakte umzuzaubern vermag und aus jeder Aporie einen Ausweg findet.
Die Protektion der Abstraktion in den Unbilden der unbeherrschten Natur ist
dem Helden sicher.
Kalypso schenkt Odysseus sein gerettetes Leben.
Odysseus zwischen Kalypso und Penelope.
Die Phäaken sind auf ihrer abgelegenen Zauberinsel satt und zufrieden,
sie sind die Österreicher in der griechischen Mythologie. Sie sind nett
und zuvorkommend, Geschichten von Heimatlosigkeit und Leid dienen ihnen zur
Unterhaltung - ihnen kann das alles ja nicht passieren.
Auch Odysseus
schlägt einen Wiener Ton der jammernden Heroik an.
Odysseus, nach dem Schiffbruch von Kalypso her kommend ißt sich erst mal satt;
landet zu Hause und erkennt es nicht.
(Gegenzulesen mit Musik:
Arie des Ulisse bei Monteverdi – „Il ritorno
d`Ulisse in patria“)
Athene erklärt dem Helden sein Zuhause, nachdem sie ihn nach Hause
brachte.
Das Resumee des Helden:
"Schwer ist es,
dich zu erkennen, Göttin, für einen Sterblichen, der dir begegnet, und
wäre er auch noch so kundig, denn du verwandelst dich selber allem an."
Odysseus
rettet sich vor dem Happy End:
Ob es Ausrede, Fluch oder Vorhersage ist: Kaum angekommen, muß der
muß der
Held wieder auf Fahrt und erklärt dies seiner Frau so(im Stil der
bürgerlichen Erhöhung des Strawanzers zum Helden:
"Frau! Noch sind wir nicht an das Ende von allen Kämpfen gekommen,
sondern unermeßliche Mühsal wird es hernach noch geben, viele und schwere,
die ich ganz vollenden muß! Denn so hat es die Seele des Teiresias mir
geweissagt an dem Tage, als ich hinabstieg in das Haus des Hades, um für
die Gefährten und mich selber die Heimkehr zu erkunden. Aber komm, laß uns
zu Bett gehen, Frau, daß wir uns nunmehr ruhen und an dem süßen Schlaf
ergötzen!
Auch selber freue ich mich nicht, daß ich schnell wieder gehn
muß! Denn es ward mir geboten, daß ich zu gar vielen Städten der
Sterblichen gehen und in den Händen ein handliches Ruder halten sollte,
bis ich zu solchen Männern käme, die nichts von dem Meere wissen und auch
nicht mit Salz gemischte Speise essen. Und sie kennen auch nicht Schiffe
mit purpurnen Wangen und handliche Ruder, die für die Schiffe die Flügel
sind.
Und es werde ein Tod mir außerhalb des Meeres kommen, ein so
ganz gelinder, der mich töten würde, entkräftet in einem von Salben
glänzenden Alter, und es würden um mich die Männer des Volkes gesegnet
sein."
Und Penelope:"Wenn denn die Götter dir ein besseres
Alter vollenden werden, so ist Hoffnung, daß dir alsdann ein Entrinnen aus
dem Schlimmen sein wird!"
Autobiograph von Philosophen auf der Flucht
Horkheimer und Adorno auf der Flucht
vor den Nazis, fanden en
distance, voller Sehnsucht nach Europa in Odysseus den Metaphoriker der
Flucht und der Forschung. Von Ferne erlebten sie auch den Zusammenbruch
ihrer gewohnten Welt der urteilskräftigen und ordnenden bürgerlichen
Vernunft angesichts der Katastophe. Nur durch Wissen, durch die Liebe zu
seiner hohen Wissenschafts-Braut Athene, vermochte er seinen Verfolgern zu
entgehen ohne jemals wirklich von ihnen losgelassen zu werden. Es gibt
keinen Endpunkt der Flucht, das Terrain für den Flüchtling verlagert sich
nur auf eine andere Ebene. So wie der echte Läufer auch im Sitzen und
Liegen läuft, bleibt der Flüchtling immer Flüchtling aus Passion oder
Prinzip oder beidem.
Urbild bürgerlichen Individuums
Das Besingen der Irrfahrt des Odysseus ist bereits sehnsüchtige
Stilisierung dessen, was sich nicht mehr singen läßt, und der Held der
Abenteuer erweist sich als Urbild eben des bürgerlichen Individuums,
dessen Begriff jener einheitlichen Selbstbehauptung entspringt, deren
vorweltliches Muster der Umgetriebene abgibt.
Im Gegensatz des einen überlebenden Ich zum vielfältigen Schicksal
prägt sich derjenige der Aufklärung zum Mythos aus. Die Irrfahrt von Troja
nach Ithaka ist der Weg des leibhaft gegenüber der Naturgewalt unendlich
schwachen und im Selbstbewußtsein erst sich bildenden Selbst durch die
Mythen. Die Vorwelt ist in den Raum säkularisiert, den er danach
durchmißt, die alten Dämonen bevölkern den fernen Rand und die Inseln des
zivilisierten Mittelmeers, zurückgescheucht in Felsgestalt und Höhle,
woraus sie einmal im Schauder der Urzeit entsprangen. Die Abenteuer aber
bedenken jeden Ort mit seinen Namen. Aus ihnen gerät die rationale
Übersicht über den Raum.
Entzauberung der Macht
Der zitternde Schiffbrüchige nimmt die Arbeit des Kompasses vorweg.
Seine Ohnmacht, der kein Ort des Meeres unbekannt mehr bleibt, zielt
zugleich auf die Entmächtigung der Mächte. Die einfache Unwahrheit an den
Mythen aber, daß nämlich Meer und Erde wahrhaft nicht von Dämonen bewohnt
werden, Zaubertrug und Diffusion der überkommenen Volksreligion, wird
unterm Blick des Mündigen zur »Irre« gegenüber der Eindeutigkeit des
Zwecks seiner Selbsterhaltung, der Rückkehr zu Heimat und festem Besitz.
Die Abenteuer sind allesamt gefahrvolle Lockungen,
die das Selbst aus der Bahn seiner Logik herausziehen. Er überläßt sich
ihnen immer wieder aufs neue, probiert es als unbelehrbar Lernender, ja
zuweilen als töricht Neugieriger, wie ein Mime unersättlich seine Rollen
ausprobiert.
"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch"
Das
Wissen, in dem seine Identität besteht und das ihm zu überleben
ermöglicht, hat seine Substanz an der Erfahrung des Vielfältigen,
Ablenkenden, Auflösenden, und der wissend Überlebende ist zugleich der,
welcher der Todesdrohung am verwegensten sich überläßt, an der er zum
Leben hart und stark wird. Das ist das Geheimnis im Prozeß zwischen Epos
und Mythos. Das Selbst macht nicht den starren Gegensatz zum Abenteuer
aus, sondern formt in seiner Starrheit sich erst durch diesen Gegensatz,
Einheit bloß in der Mannigfaltigkeit dessen, was jene Einheit
verneint.
Auch er: "entfremdet"
Odysseus, wie die Helden aller eigentlichen Romane nach ihm, wirft sich
weg - gleichsam, um sich zu gewinnen; die Entfremdung von der Natur, die er
leistet, vollzieht sich in der Preisgabe an die Natur, mit der er in jedem
Abenteuer sich mißt, und ironisch triumphiert die Unerbittliche, der er
befiehlt, indem er als Unerbittlicher nach Hause kommt, als Richter und
Rächer der Erbe der Gewalten, denen er entrann.
Der Seefahrer Odysseus übervorteilt die Naturgottheiten wie einmal
der zivilisierte Reisende die Wilden, denen er bunte Glasperlen für
Elfenbein bietet.
Odysseus selber fungiert als Opfer und Priester zugleich. Durch
Kalkulation des eigenen Einsatzes bewirkt er die Negation der Macht, an
welche der Einsatz geschieht. So dingt er sein verfallenes Leben ab.
Keineswegs aber stehen Betrug, List und Rationalität in einfachem
Gegensatz zur Archaik des Opfers. Durch Odysseus wird einzig das Moment
des Betrugs am Opfer, der innerste Grund vielleicht für den
Scheincharakter des Mythos, zum Selbstbewußtsein erhoben.
Mittel-Zweck-Relation
In dem Augenblick, in dem der Mensch das Bewußtsein seiner selbst als
Natur sich abschneidet, werden alle die Zwecke, für die er sich am Leben
erhält, der gesellschaftliche Fortschritt, die Steigerung aller
materiellen und geistigen Kräfte, ja Bewußtsein selber, nichtig, und die
Inthronisierung des Mittels als Zweck, die im späten Kapitalismus den
Charakter des offenen Wahnsinns annimmt, ist schon in der Urgeschichte der
Subjektivität wahrnehmbar.
Die Herrschaft des Menschen über sich selbst, die sein Selbst
begründet, ist virtuell allemal die Vernichtung des Subjekts, in dessen
Dienst sie geschieht, denn die beherrschte, unterdrückte und durch
Selbsterhaltung aufgelöste Substanz ist gar nichts anderes als das
Lebendige, als dessen Funktion die Leistungen der Selbsterhaltung einzig
sich bestimmen, eigentlich gerade das, was erhalten werden soll. Die
Widervernunft des totalitären Kapitalismus, dessen Technik, Bedürfnisse zu
befriedigen, in ihrer vergegenständlichten, von Herrschaft determinierten
Gestalt die Befriedigung der Bedürfnisse unmöglich macht und zur
Ausrottung der Menschen treibt - diese Widervernunft ist prototypisch in
der mythischen Psychologie des Helden enthalten.
Auch Odysseus ist ein Opfer, das Selbst, das immerzu sich bezwingt und
darüber das Leben versäumt, das es rettet und bloß noch als Irrfahrt
erinnert.
Der Träger des Geistes, der Befehlende, als welcher der listige
Odysseus fast stets vorgestellt wird, ist trotz aller Berichte über seine
Heldentaten jedenfalls physisch schwächer als die Gewalten der Vorzeit,
mit denen er ums Leben zu ringen hat. Die Gelegenheiten, bei denen die
nackte Körperstärke des Abenteurers gefeiert wird, der von den Freiern
protegierte Faustkampf mit dem Bettler Iros und das Spannen des Bogens,
sind sportlicher Art. Selbsterhaltung und Körperstärke sind
auseinandergetreten. Die athletischen Fähigkeiten des Odysseus sind die
des Gentleman, der, praktischer Sorgen bar, herrschaftlich-beherrscht
trainieren kann. Die von der Selbsterhaltung distanzierte Kraft gerade
kommt der Selbsterhaltung zugute.
Entstehung des Formalismus
Es ist die Formel für die List des Odysseus, daß der abgelöste,
instrumentale Geist, indem er der Natur resigniert sich einschmiegt,
dieser das Ihre gibt und sie eben dadurch betrügt.
Odysseus entdeckt an den Worten, was in der ent-falteten bürgerlichen
Gesellschaft Formalismus heißt, zum Beispiel durch seine Selbstbezeichnung
als "Niemand" genenüber Polyphem.
Aus dem Formalismus der mythischen
Namen und Satzungen, die gleichgültig wie Natur über Menschen und
Geschichte gebieten wollen, tritt der Nominalismus hervor, der Prototyp
bürgerlichen Denkens. Selbsterhaltende List lebt von jenem zwischen Wort
und Sache waltenden Prozeß. Die beiden widersprechenden Akte des Odysseus
in der Begegnung mit Polyphem, sein Gehorsam gegen den Namen und seine
Lossage von ihm, sind doch wiederum das Gleiche. Er bekennt sich zu sich
Selbst, indem er sich als Niemand verleugnet, er rettet sein Leben, indem
er sich verschwinden macht. Solche Anpassung ans Tote durch die Sprache
enthält das Schema der modernen Mathematik.
Homo oeconomicus
Das abenteuerliche Element der Unternehmungen des Odysseus ist
ökonomisch nichts anderes als der irrationale Aspekt seiner Ratio
gegenüber der noch verwaltenden traditionalistischen Wirtschaftsform.
Diese Irrationalität der Ratio hat ihren Niederschlag in der List gefunden
als der Angleichung der bürgerlichen Vernunft an jede Unvernunft, die ihr
als noch größere Gewalt gegenübertritt. Der listige Einzelgänger ist schon
der homo oeconomicus, dem einmal alle Vernünftigen gleichen - daher ist
die Odyssee schon eine Robinsonade. Die beiden prototypischen
Schiffbrüchigen machen aus ihrer Schwäche - der des Individuums selber,
das von der Kollektivität sich scheidet - ihre gesellschaftliche Stärke.
Dem Zufall des Wellengangs ausgeliefert, hilflos isoliert, diktiert ihnen
ihre Isoliertheit die rücksichtslose Verfolgung des atomistischen
Interesses. Sie verkörpern das Prinzip der kapitalistischen Wirtschaft,
schon ehe sie sich eines Arbeiters bedienen, was sie aber an gerettetem
Gut zur neuen Unternehmung mitbringen, verklärt die Wahrheit, daß der
Unternehmer in die Konkurrenz von je mit mehr eingetreten ist als dem
Fleiß seiner Hände. Ihre Ohnmacht der Natur gegenüber fungiert bereits als
Ideologie für ihre gesellschaftliche Vormacht. Die Wehrlosigkeit des
Odysseus gegenüber der Meeresbrandung klingt wie die Legitimation der
Bereicherung des Reisenden am Eingeborenen. Das hat die bürgerliche
Ökonomik späterhin festgehalten im Begriff des Risikos - die Möglichkeit
des Untergangs soll den Profit moralisch begründen.
Man hatte die Wahl, zu betrügen oder unterzugehen. Daher gehört zur
universalen Vergesellschaftung, wie sie der Weitreisende Odysseus und der
Solofabrikant Robinson entwerfen, ursprünglich schon die absolute
Einsamkeit, die am Ende der bürgerlichen Ära offenbar wird. Radikale
Vergesellschaftung heißt radikale Entfremdung. Odysseus und Robinson haben
es beide mit der Totalität zu tun: jener durchmißt, dieser erschafft sie.
Mann und Frau
Mit dem Auftreten des Odysseus bei Kirke nimmt der Doppelsinn im
Verhältnis des Mannes zur Frau, Sehnsucht und Gebot, bereits die Form
eines durch Verträge geschützten Tausches an. Entsagung ist dafür die
Voraussetzung. Odysseus widersteht dem Zauber der Kirke. Darum wird ihm
gerade zuteil, was ihr Zauber nur trugvoll denen verheißt, die ihr nicht
widerstehen. Odysseus schläft mit ihr. Zuvor aber verhält er sie zum
großen Eide der Seligen, zum olympischen. Der Eid soll den Mann vor der
Verstümmelung schützen, der Rache fürs Verbot der Promiskuität und für die
männliche Herrschaft, die ihrerseits als permanenter Triebverzicht die
Selbstverstümmelung des Mannes symbolisch noch vollzieht. Dem, der ihr
widerstand, dem Herrn, dem Selbst, dem Kirke um seiner Unverwandelbarkeit
willen vorwirft, er trüge "im Busen ein Herz von unreizbarem
Starrsinn".
Der Vorwurf des Starrsinns und der Härte, den Odysseus gegen Penelope
erhebt, ist genau der gleiche, den Kirke zuvor gegen Odysseus vorbrachte.
Macht die Hetäre die patriarchale Wertordnung sich zu eigen, so ist die
monogame Gattin selbst damit nicht zufrieden und ruht nicht, bis sie sich
dem männlichen Charakter selber gleichgemacht hat. So verständigen sich
die Verheirateten. Der Test, dem sie den Heimkehrenden unterzieht, hat zum
Inhalt die unverrückbare Stellung des Ehebetts, das der Gatte in seiner
Jugend um einen Ölbaum zimmerte, Symbol der Einheit von Geschlecht und
Besitz. Mit rührender Schlauheit redet Sie, als könne dies Bett von seiner
Stelle bewegt werden, und - unmutsvoll - antwortet ihr der Gemahl mit der
umständlichen Erzählung von seiner dauerhaften Bastelei. als
prototypischer Bürger hat er in seiner Smartheit ein Hobby.
Lachen ist der Schuld der Subjektivität verschworen, aber in der
Suspension des Rechts, die es anmeldet, deutet es auch über die
Verstricktheit hinaus. Es verspricht den Weg in die Heimat. Heimweh ist
es, das die Abenteuer (wie den Sack der Winde) entbindet, durch welche
Subjektivität, deren Urgeschichte die Odyssee gibt, der Vorwelt
entrinnt.
Heimkehrerpathos
Der deutsche Odysseus - ein Pathos der Heimkehr.
Wolfgang Schadewald gehört zu den großen Altphilologen, die die
Hochblüte dieser Diszilplin im 19. Jahrhundert ins nachfolgende Säculum -
im Stil des vergangenen - hinüberretteten. Für Stubengelehrte aber auch
Salon-Leser war Odysseus seit jeher ein willkommener Projektionsheld. Die
Kunst des Lesens wurde auf die Spitze getrieben, wenn es – transponierend
und projizierend – darum ging, selbst zum Abenteurer und Strolch zu
werden, der sich dann – eine besondere List – nach zwei Jahrzehnten der
erlittenen, genossenen – vielleicht „erfundenen“? - Verwirrung als
unverbrüchlich treuer Familienvater entpuppt – und in Wirklichkeit ohnehin
die ganhze Zeit im Lehnstuhl des bürgerlichen Wohnzimmers gesessen ist. Ob
als Macho oder scheinheiliger Nachbeter der katholischen Soziallehre, der
Leser ward gerne ebenso listig wie der Listenreiche – eine Lektüre mit
Augenzwinkern.
Schadewald hat im Sommer 1946 auf die Bitte von Peter
Suhrkamp die Homersiche Odyssee nacherzählt, der in seinem für den damaligen
Kriegsheimkehrer
bestimmten 'Taschenbuch für junge Menschen' das Bild der homerischen
Urheimkehr nicht missen wollte. So enthüllt sich ein weiterer Aspekt der –
vor allem deutschen – Homer-Rezeption, die sich bis heute in manch
dümmlichen Nacherzählungsversuchen fortsetzt. Odysseus ist der
konzessionierte Wildling, der so wie sein altphilologer Anbeter im
Dienstbotenzimmer oder in Polen, raubt und mordet, belügt und lustig ist.
Es passiert ihm eben und er muß viel leiden – zugunsten der Hausfrau
wohlgemerkt. Die Musterinterpretation Schadewalds spiegelt nun beiderlei
wider: Die Faszination, die der reisende Held (und Frauenheld) auf den
biederen Leser ausübt und ihn zur Emanzipation anleitet und den
unverschämten Kitsch eines immer noch Heldischen, auch nach den
Katastrophen. Wer dies liest, wird wieder vom Leser
zum Kriegsheimkehrer, wird müde von der Schlacht, vom Leben, von der
Bedeutung der Wörter – es sind – aus der Nähe besehen, ungeheuerliche
Texte, gefährlich auch deshalb, weil sie aufrüsten, die Romantik ist ein
übler Trick der Wiederbewaffnung des vorübergehend
Entwaffneten/Impotenten. Was immer noch aussteht, ist eine
Entnazifizierung unseres Antiken-Bildes, unsere gräcophilen
Heldenverehrung.
Humanismus
Was in den letzten Gesängen der Odyssee gedichtet ist, ist keine
'Irrfahrt des Odysseus' mehr. Odysseus ist nicht mehr der alte Abenteurer.
Beherrschend über allem steht die 'Heimkehr', ein Geschehen, in dem sich
etwas Urmenschliches offenbart. Heimkehren, wenn die Not der erzwungenen
Ferne uns von den Wurzeln unserer Existenz getrennt hat, ist immer eine
Art 'Wieder zu sich selber Kommen'.
Odysseus ist immer wieder in das Dunkel, das Elend und die Niedrigkeit
hinuntergestiegen, um dann in Stufen wieder aufzusteigen, bis er zuerst bei den
Phaiaken wieder als ein Mensch unter Menschen aufgenommen ist, und dann
auf Ithaka mit dem Wiedererringen seines Hauses und der Gattin die
Heimkehr nach neuen Fährnissen vollendet.
So erzählt Odysseus, und so wird es klar, wie hier unter Glücklichen
einer ist, der Schicksal hat. Der eben noch Ungekannte, Namenlose gewinnt
nun Hintergrund und erhebt sich zur Gestalt, und steht nun da, der
Vielverschlagene.